Leistung zählt: Zuchtprüfungen als „Olympia-Qualifikation“ der Pferdewelt
Mehr als nur Sport: Warum Galopprennen das Herzstück der gezielten Zucht des Englischen Vollbluts sind – mit staatlichem Auftrag und wissenschaftlicher Grundlage.
Was viele Zuschauer als Nervenkitzel und Wettkampf erleben, ist in Wirklichkeit ein hochpräzises Instrument der Tierzucht: Galopprennen sind Zuchtleistungsprüfungen. Das bedeutet: Nur Pferde, die auf der Rennbahn Leistung zeigen, werden als potenzielle Vererber oder Zuchtstuten anerkannt.
Diese Selektion nach objektiv messbarer Leistung macht die Zucht des Englischen Vollbluts zu einer der transparentesten und leistungsbasiertesten Tierzuchten weltweit.
„Unter Berücksichtigung der Merkmale Charakter, Temperament, allgemeines Leistungsvermögen und Leistungsbereitschaft umfassen mindestens, soweit jeweils im Zuchtziel vorgesehen … der Zuchtwertteil Rennleistung die Leistungsmerkmale Generalausgleichsgewicht, Geschwindigkeit, Gewinnsumme und Platzierung. … Werden Leistungsprüfungen zur Feststellung des Zuchtwertes von Pferden als pferdesportliche Veranstaltungen durchgeführt, dürfen Pferde, die ihren Ursprung im Inland haben oder in einem inländischen Zuchtbuch eingetragen sind, nicht besser gestellt werden als Pferde aus anderen Mitgliedstaaten.“
Rennen als Prüfstand – nicht nur Unterhaltung
In Deutschland ist die Durchführung solcher Leistungsprüfungen gesetzlich geregelt. Der Dachverband Deutscher Galopp e.V. hat nach dem Tierzuchtgesetz den staatlichen Auftrag, Galopprennen als objektive, nachprüfbare Zuchtbewertung durchzuführen – nicht als Show, sondern als Zuchtinstrument.
Jedes Ergebnis – ob Sieg, Platzierung, Distanzleistung – fließt in die sogenannte Zuchtwertschätzung ein. Diese wiederum entscheidet, ob ein Pferd zur Zucht zugelassen wird und wie es im Zuchtprogramm eingestuft ist.
Für Laien erklärt: Das ist vergleichbar mit der Olympia-Qualifikation im Sport: Nur wer die Normen erfüllt, darf an den Spielen teilnehmen. Und nur wer dort überzeugt, wird für künftige Projekte (bzw. Generationen) berücksichtigt.
Video-Tipp: 200 Jahre Deutscher Galopprennsport
Der Jubiläumsfilm zeigt einen eindrucksvollen Rückblick auf die 200-jährige Geschichte des deutschen Galopprennsports. Von den ersten Rennen 1822 in Doberan bis zu den heutigen nationalen und internationalen Erfolgen – der Film würdigt die älteste organisierte Sportart Deutschlands und ihre bedeutende Rolle in der Pferdezucht.
Im Jahr 2022 feierte der deutsche Galopprennsport sein 200-jähriges Bestehen. Der Film nimmt die Zuschauer mit auf eine Zeitreise durch die faszinierende Geschichte der Vollblutzucht und des Galopprennsports in Deutschland. Er zeigt, wie die Leidenschaft für den Sport über Generationen hinweg bewahrt und die Zuchtziele konsequent verfolgt wurden – von den Anfängen in Doberan bis zu den Feierlichkeiten auf den Rennbahnen in ganz Deutschland.
Objektive Kriterien statt Zufall
Während in anderen Pferderassen oft auch Exterieur, Farbe oder Typ eine Rolle spielen, geht es beim Englischen Vollblut ausschließlich um Leistung, Gesundheit und Eignung für höchste Leistungen. Gemäß dem Zuchtziel von Deutscher Galopp wird ein Vollblutpferd angestrebt, das "auf Gesundheit, Schnelligkeit, Ausdauer, Härte und Einsatzbereitschaft für höchste Leistungen gezüchtet" ist und "darüber hinaus aufgrund seines Charakters, seiner Harmonie im Exterieur und seines natürlichen Bewegungsablaufes auch für die Verwendung in der Landespferdezucht sowie als Reitpferd geeignet ist."
Bewertet werden:
Zeit und Platzierung
Ausdauer über verschiedene Distanzen
Belastbarkeit und Gesundheit (z. B. tierärztliche Untersuchungen vor dem Rennen)
Ein Pferd, das beispielsweise mehrere Rennen souverän über unterschiedliche Distanzen gewinnt und gesund bleibt, gilt als leistungsfähig, zuchtgeeignet und vererbungsstark.
Beispiel: Ein Hengst, der im Alter von drei Jahren in einer Gruppe-I-Prüfung über 2.400 Meter siegt und dessen GAG (General Ausgleichs Gewicht) entsprechend hoch eingestuft wird, hat seine Zuchtqualifikation auf höchstem Niveau erbracht – vergleichbar mit einem Weltmeistertitel im Sport.
Vergleich: Olympisches Prinzip in der Tierzucht
Die Zucht von Englischen Vollblütern basiert auf dem gleichen Prinzip wie der Spitzensport beim Menschen:
Talent wird entdeckt (z. B. durch Frühform bei Zweijährigen)
Leistung wird überprüft (Rennen mit internationaler Konkurrenz)
Die Besten werden weiterverwendet (Zulassung zur Zucht, gezielte Anpaarung)
Dabei kommt modernste Wissenschaft zum Einsatz – Genetik, Biomechanik, Trainingsanalyse und medizinische Diagnostik fließen in die Bewertung ein.
Verantwortung in der Zucht
Mit der Selektion auf Leistung geht auch Verantwortung einher:
Die Durchführung von Leistungsprüfungen (Pferderennen) erfolgt unter ständiger tierärztlicher Begleitung. Rennbahntierärzte dokumentieren die Pferde, überprüfen anhand des Chips die Identität und kontrollieren den Status der vorgeschriebenen Impfungen im Pferdepass. Nur Pferde mit vollständigem Impfschutz werden zum Start zugelassen.
Die Pferde werden von den Tierärzten auf Lahmfreiheit und sonstige Auffälligkeiten untersucht bzw. beobachtet.
Es finden laufend Trainingskontrollen statt, bei denen das Medikamentenbuch geprüft und zum Teil auch Blutproben zur Dopingkontrolle entnommen werden.
Nur von Deutscher Galopp anerkannte Hengste, die den Kriterien des Zuchtprogramms entsprechen (Leistung, Gesundheit, Eignung für höchste Leistungen), werden zur Zucht zugelassen. Deutscher Galopp veröffentlicht jährlich ein Hengstverzeichnis der anerkannten Hengste.
Für Laien erklärt: Das Zuchtziel ist nicht nur ein schnelleres Pferd, sondern ein komplettes Gesamtpaket – körperlich, mental und gesundheitlich belastbar. Ein Spitzensportler mit nachhaltiger Zukunft.
Fazit: Qualität durch Leistung, nicht durch Glück
Das Englische Vollblut ist das Produkt einer klar strukturierten, staatlich begleiteten Zuchtstrategie, bei der jedes Rennen zählt. Wer ein Rennen gewinnt, leistet damit nicht nur Sportliches – sondern schreibt auch Zuchtgeschichte.
Für Einsteiger auf den Punkt gebracht: Galopprennen sind nicht Glücksspiel, sondern gezielte Olympiaprüfungen für Pferde. Nur die Besten kommen weiter – und sichern damit die Zukunft einer der faszinierendsten Rassen der Welt.