Der unsichtbare Boxenstopp: Wie der Bogen Rennpferden eine Atem-Pause gibt
Gestern lief mein Schützling Stern Markka zum ersten Mal ein Rennen ohne eine einzige Kurve – 1.600 Meter geradeaus auf der Zielgeraden von Deauville. Für viele klingt das unkompliziert, aber im Rennsattel hat unser Jockey etwas Bemerkenswertes festgestellt: „Er hat keine Luft geholt.“ Das klingt dramatisch, ist aber ein faszinierendes Beispiel dafür, wie sehr Rennpferde ihren Atemrhythmus mit der Streckenführung verbinden.
Mein Erlebnis mit Stern Markka in Deauville
Der Grand Handicap de Deauville ist ein besonderes Rennen – es geht nur geradeaus. Kein Bogen, kein Richtungswechsel, nur pure Geschwindigkeit von Start bis Ziel. Für Stern Markka war das eine Premiere. Nach dem Rennen sagte der Jockey zu mir:
„Trainer, er braucht einen Bogen, er hat nicht Luft geholt.“
Er meinte damit nicht, dass das Pferd gar nicht geatmet hätte – das ist physiologisch unmöglich –, sondern dass Stern Markka nicht diesen einen tiefen, befreienden Atemzug gemacht hat, den er normalerweise im Bogen vor dem Endspurt nimmt.
Atmung im Galopp – ein fester Rhythmus
Im Vollgalopp atmet ein Pferd exakt einmal pro Galoppsprung ein und aus. Diese Kopplung nennt man locomotor-respiratory coupling (dazu gibt es in diesem Blogartikel auch ein spannendes Video). Sie ist fest in der Bewegung verankert: Wenn die Vorderbeine aufsetzen, drückt die Bewegung des Brustkorbs die Luft hinaus, und beim Abschub wird durch den sogenannten „visceral piston“ – die Verlagerung der inneren Organe – Luft eingesogen. Das geschieht automatisch, in einem fixen 1 : 1-Takt.
Das bedeutet: Pferde können im Rennen nicht „mal eben“ tiefer oder langsamer atmen – die Schrittfrequenz bestimmt die Atemfrequenz.
💨 Der unsichtbare Boxenstopp – Die Lehre von Stern Markka 🐎
Haben Rennpferde einen „unsichtbaren Boxenstopp“? 🤔 In dieser Folge erfährst du, warum viele Galopper im Bogen tief durchatmen – und was passiert, wenn dieser Moment fehlt. Trainer Michael Figge erklärt die Zusammenhänge zwischen Atemrhythmus und Streckenführung am Beispiel unseres Schützlings Stern Markka.
Warum der Bogen eine Atempause bietet
In vielen Rennen gibt es einen Bogen oder eine Kurve vor der Zielgeraden. Dort passiert oft etwas, das man von außen nicht bemerkt: Manche Pferde nutzen diesen Abschnitt, um einen tieferen Atemzug zu nehmen.
Aus meiner Erfahrung als Trainer gibt es dafür drei Hauptgründe:
Tempoanpassung im Bogen – Das Tempo wird oft minimal reduziert, was eine längere Einatmung erlaubt.
Kopf-Hals-Haltung – Im Bogen strecken viele Pferde den Hals weiter vor, was die Atemwege öffnet.
Rhythmuswechsel – Der Übergang vom Bogen auf die Gerade wirkt wie ein natürlicher Trigger, um „neu Luft zu holen“.
Für ein Pferd wie Stern Markka, das diese Routine verinnerlicht hat, kann der fehlende Bogen bedeuten: Er läuft das ganze Rennen in einem gleichmäßigen, hohen Tempo – und wartet vergeblich auf den Moment, um richtig tief Luft zu holen.
Was die Wissenschaft sagt
Studien bestätigen den festen 1:1-Rhythmus zwischen Galoppsprung und Atemzug (PubMed, Journal of Experimental Biology). Spezifische Untersuchungen zum Unterschied zwischen „Bogenrennen“ und „Geradenrennen“ gibt es bisher nicht. Aber aus der Praxis wissen wir: Manche Pferde brauchen diese kurze Phase des tieferen Durchatmens, andere kommen ohne aus.
Fazit aus Deauville
Für Stern Markka war die 1.600-Meter-Gerade eine völlig neue Herausforderung. Er hat sie bravourös gemeistert, aber ich habe gesehen, wie sehr ihm der gewohnte „unsichtbare Boxenstopp“ im Bogen fehlte.
Das zeigt mir einmal mehr:
Jedes Pferd hat seinen individuellen Atemrhythmus.
Die Streckenführung kann einen messbaren Einfluss auf die Leistung haben.
Training muss nicht nur Tempo, sondern auch Atemgewohnheiten berücksichtigen.